125 Jahre Turnverein Villmar

125 Jahre Turnverein "Vorwärts" Villmar

Mindestens seit 125 Jahren bewegen sich die Mitglieder des Turnvereins „Vorwärts“ Villmar, Jung und Alt, Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, sie turnen, schlagen Rad, laufen, hüpfen, springen, tanzen, baggern, pritschen, schmettern, bücken, beugen, strecken sich und feiern ein stolzes Jubiläum: Nach der Geburtstagsparty am 15. August beim 49. Jugendzeltlager „Auf der Spatzenburg“ haben jetzt vor hunderten Gästen in der voll besetzten König-Konrad-Halle „die Turner“ mit einem bunten abwechslungsreichen Programm ihr Jubiläumsfest gefeiert.
Das Blasorchester Villmar brachte unter der Leitung seines Dirigenten Michael Steiner mit dem alten Lied „Turner, auf zum Streite!“ gleich den Saal in Stimmung. Erster Vorsitzender Michael Rosam begrüßte seine Gäste und dankte allen, die über Jahrzehnte den Traditionsverein unterstützt und zur modernen Gemeinschaft geformt haben. 
So könne der TV Villmar mit seinen 26 Übungsleitern, 19 mit Lizenz, den über 1100 Mitgliedern ein vielfältiges Sportprogramm und attraktive Freizeitgestaltung bieten. 31 Turn- und Sportgruppen gibt es, Allgemeinturnen, das Eltern-Kind-Turnen, Prellball, Volleyball, Indiaca, Gymnastik, Gesundheitssport, Leichtathletik, Ballett, Zumba oder die Trendsportart Piloxing.
Rosam begrüßte besonders herzlich den „Ehrenstammtisch“, hier saßen neben dem Ehrenvorsitzenden, Herbert Müller, selbst 70 Jahre Mitglied, der mit 86 Jahren Mitgliedschaft „Dienstälteste“, Jakob Brahm, Willi Reichwein (85 Mitgliedsjahre), Alfons Stein, Heinz Keßler, Adam Flach und Winfried Falk (alle 70 Mitgliedsjahre). 
Zu den Ehrenmitgliedern zählen auch Winfried Hartmann, Josef Höhler, Herbert Falk, Josef Bleul, Josef Falk, Rainer Meuth, Paul Arthen, Richard Müller und Ewald Dernbach.
Grußworte und beziehungsreiche Geschenke zum Geburtstag überbrachten Bürgermeister Arnold Richard Lenz im Namen der Gemeinde- und Kreisbeigeordneter Werner Franz im Namen der Kreisgremien, Raimund Werner für alle Villmarer Ortsvereine, die Geschäftsführerin Edith Narewski-Kegel für den Turngau Mittellahn und Wolf-Dieter Beinhoff, Ehrenpräsident des Hessischen Turnerbundes, der auch die Walter-Kolb-Plakette überreichte, eine Ehrung für gesellschaftliches Engagement. Alle Redner lobten diesen hohen ehrenamtlichen Einsatz, den Teamgeist eines „vitalen Vereins in Topform“, wie es Raimund Werner zusammenfasste.
Große Anerkennung galt Hans-Josef Falk, der in drei Teilen in Form einer PowerPoint-Präsentation die Geschichte des Turnvereins in Wort und Bild dokumentiert vorführte. Die Gesichter der Abteilungen und ihrer Erfolge, der Spatzenburg-Zeltlager, des Hallenbaus und vielfältiger geselliger Veranstaltungen riefen immer aufs Neue freudiges Raunen im Publikum hervor. 
Sie wird auf „www.turnverein-villmar.de“ eingestellt.

Zum Erfolg des Festaktes trugen die Liedvorträge des „Quartettvereins“ (Leitung: Jürgen Faßbender) und der „Teutonia“ (Leitung: Dominik Pörtner) bei. 

Sie besingen Freundschaft und Zusammenhalt. Die Tanzgruppe von Janine Jaick-Rosam überzeugte, die Ballettgruppen der auch international bekannten Ewa Stopczynski, vier- bis zehnjährige Mädchen und Jungen, begeisterten, unter anderem mit dem musikalischen Märchen „Peter und der Wolf“. Schließlich zeigten TVÜbungsleiterinnen unter Leitung von Kerstin Heyl eine mitreißende Performance: „Drums alive“.
Mit einer Kranzniederlegung an der Kriegerkapelle zum Gedenken an die verstorbenen Mitglieder hatten die Feierlichkeiten begonnen. Es schloss sich ein Festgottesdienst in der Pfarrkirche an, zelebriert vom langjährigen Mitglied, Pfarrer Thomas Schmidt. Ein Sektempfang leitete den Festabend in der König-Konrad-Halle ein. In seiner Festrede erinnerte Thomas Schmidt an die Anfänge der Turnbewegung im 19. Jahrhundert, im Revolutionsjahr 1848 noch kritisch beäugt und ihre Vereinsstrukturen wieder aufgelöst. Demokratische und soziale Gesinnung, keine Standesunterschiede kennend und die Einheit des deutschen Volkes fordernd, das war der monarchischen Herrschaftsordnung ein Dorn im Auge. „Vorwärts“ ging es erst wieder 1891, so auch mit der gleichnamigen Parteizeitung der SPD nach Aufhebung der Sozialistengesetze, mit der Einführung der Sozial- und Rentenversicherung durch Bismarck, mit der Sozialenzyklika Papst Leo XIII. oder im Sport mit der ersten Weltmeisterschaft im Gewichtheben in London.
Am Himmelfahrtstag, dem 15.8.1891, wurde der Turnverein neu gegründet, Steinmetzmeister Lambert May 1. Vorsitzender der zunächst 31 Aktiven. Ein Dokument, im Grundstein der 1973 abgerissenen alten Turnhalle gefunden, belegt den genauen Gründungstag. Der Turnbetrieb begann, die Männer besuchten Gauturnfeste, die ersten Erfolge wurden dorfweit gefeiert, 1906 wird mit Unterstützung vieler Villmarer die erste Turnhalle fertiggestellt. Sie wird im 1. Weltkrieg Gefangenenlager, im 2. Weltkrieg Flüchtlingslager. Viele jüdische Villmarer sind ausgewandert, zu Ludwig Herz, Sohn des Mitbegründers Eduard Herz, gibt es lange Kontakt, er wird 1991 Ehrenmitglied. 1935 ersparen die letzten jüdischen Turner dem Vorstand den erzwungenen Rauswurf, sie treten aus. 

Johann Schneider, christlicher Gewerkschafter, muss 1939 als Vorsitzender zurücktreten, wird es aber wieder 1945. In den 60er Jahren wird eine Leichtathletikgruppe gegründet, es folgen die Abteilungen Volleyball und Hausfrauen, in den Siebzigern die „TrimmDich-Bewegung“ und das „Mutter-Kind-Turnen“. So wird immer mehr der Breitensport gefördert, die Bewegung in Gemeinschaft und als Spaßfaktor. 

Thomas Schmidt hebt besonders die großen Verdienste Herbert Müllers hervor, der sich als Vorsitzender enorm für eine moderne neue Turnhalle ins Zeug gelegt hatte. Die notwendige energetische Sanierung der vereinseigenen Turnhalle wurde in 2016 pünktlich zum Jubiläum abgeschlossen, sie erstrahlt heute in neuem Glanz.
„Der Turnverein ist mehr als ein Fitnesszentrum“, so Schmidt, er biete heute die Gelegenheit, sich in eine Gemeinschaft zu integrieren, als Alteingesessene oder als Neubürger. Und dass eine solche Gemeinschaft dann auch noch einen Raum für Flüchtlingskinder schaffen könne, sei aller Ehren wert und erinnere an die alten Werte der Turnbewegung. „Wenn der Verein in Bewegung bleibt, viele Menschen in Bewegung bringt und die Köpfe der Verantwortlichen beweglich bleiben“, sagte Thomas Schmidt, dann könnten die gerade ein Jahr alten Neumitglieder Noah Best und Julius Klier einmal das 200. Jubiläum feiern.
Der stärkste Applaus dieses Abends gehörte dem Festredner. Die Stimmung wurde nur noch übertroffen, als Lisa Lanzendörfers Zumba-Dance-Gruppe den ganzen Saal in einen Klatschrhythmus versetzte. Die Moderatoren Ludger Müller und Egbert Brahm riefen als Zugabe zum Flash-Mob auf und alle tanzten ausgelassen mit. Jeder Besucher konnte am Ende einen mit dem TV-Logo verzierten Glaskrug mit nach Hause nehmen und die Gewissheit, dass es mit dem TV Villmar auch in Zukunft „frisch – fromm – fröhlich – frei“ immer weiter vorwärts geht. „Ich bin unheimlich stolz auf diesen Verein“, sagte Michael Rosam.
Lesen Sie hier die Festrede von Thomas Schmidt anlässlich des 125-jährigen Jubiläums.
Festrede von Thomas Schmidt
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